Literaturgeschichte

Wenn das Leben zur Fiktion wird

Ein Buch über alles, was man an russischen Erzählern lieben kann Die Besessenen ist eine Sammlung von Texten über die Liebe der Autorin Elif Batuman zur Literatur im Allgemeinen und zur russischen Literatur im Speziellen. Es ist kein Roman, eher eine Mischung aus Reisebuch, Autobiografie und Anekdotensammlung. Aber es bleibt immer ein Werk, das sich auf sehr intelligente Weise mit Literatur auseinandersetzt. Elif Batuman hat mit diesem Debüt einen großen Erfolg in Amerika gelandet. Einige der Texte hat sie zuvor in Publikationen wie "n + 1", "The New Yorker" und "Harper's Magazine" veröffentlicht, was ein wenig zeigt, welches Publikum sie anspricht. Es ist ein höchst intellektuelles Buch, ist auch ein wenig eine Wissensschau der Autorin und kann bei Lesern, die dieses Wissen nicht mitbringen, durchaus zu Ermüdung führen.

In Die Besessenen vermengt Elif Batuman ihr Leben mit allem, was sie über die russische Literatur weiß. Und sie weiß viel. Sie hat ihr Leben voll und ganz den großen Autoren gewidmet: Tschechow, Dostojewski, Puschkin, Tolstoi, sie kennt sich in den Werken der Autoren so gut aus wie in ihrem eigenen Leben. Und das macht diese Geschichten auch so spannend. Es ist eine wahre Freude zu lesen, wie sie ihr eigenes Leben mit den Leben der Akteure aus Romanen und Erzählungen vergleicht und miteinander verschmelzt. Wie sie von den Lebensläufen der Autoren auf ihren eigenen schließt. Und wie sie Abenteuer erlebt, mal in literarischer Hinsicht, dann aber auch wieder in der Realität. Sie lernt Usbekisch in Samarkand, verbringt eine unterhaltsame Tagung im Haus von Tolstoi und organisiert selber Veranstaltungen. All das wird wunderbar leicht erzählt, besitzt durchaus Humor und zeigt, wie wichtig Literatur im Leben eines Menschen sein kann. Und wie klein die Auslöser sein können, die einen zum Literaturbesessenen machen.

So ist es für Elif Batuman die Tatsache, dass in Tolstois Roman Anna Karenina beide - ihr Ehemann und ihr Liebhaber - Alexej und ihre Tochter und ihr Dienstmädchen wie sie: Anna heißen. Diese Wiederholungen von Namen imponieren der jungen Leserin, weil sie das aus amerikanischen Büchern nicht kennt, auch und gerade weil es doch so normal ist, dass Namen doppelt auftauchen können.

Selten hat es einen plausibleren Grund dafür gegeben, sich in eine Literatur zu verlieben. Gerne würde man schreiben, dass nach der Lektüre dieses Buches jeder anfangen wird, sich in die klassischen Werke der russischen Literatur zu vergraben. Aber manchmal ist es auch ganz schön, sein eigenes Halbwissen mit dem Vollwissen einer Autorin zu vermengen und es dabei zu belassen.

Sacha Brohm
Elif Batuman: Die Besessenen. Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern, Kein & Aber, Zürich 2011, 361 S., 22,90