Freakshow Trostlose Leere Sibylle Berg mag das Leben und die Menschen darin nicht Toto hat schon vor der Geburt schlechte Karten: Im Suff gezeugt, vom Erzeuger verlassen, wird das Kind in die DDR des Jahres 1966 hineingeboren. Und dann kommt Toto auch noch mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt. Da er aber seiner Statur eher einem Jungen ähnelt, wird er kurzerhand als Junge behandelt. Die Mutter stirbt, er kommt ins Heim, wo er von allen gehasst wird, weil niemand damit zurecht kommt, was Toto ist: ein Junge mit Mädchengesicht, ein Mädchen mit unförmigen Jungenleib? Toto hat es als Säugling nicht leicht, als Kind im Heim nicht und wird es bis zum Tod nicht leicht haben. Toto, dieses Wesen, das von niemandem geliebt wird, strauchelt durchs Leben, flüchtet aus der DDR in den kapitalistischen Westen, lebt in Hamburg mal hier, mal dort, träumt immer wieder davon, den Menschen durch Gesang zu gefallen, aber der Gesang ist nicht glatt genug, zu hoch, zu untrainiert, die Menschen, die zu den Auftritten kommen, wollen vor allem eine Freakshow sehen. Und dann ist da noch Kasimir, der als Einziger in Totos Leben so etwas wie ehrliche Nähe zugelassen hat, als die beiden im Heim zusammen in einem Bett geschlafen haben. Aber auch Kasimir, der ebenfalls im Westen gelandet ist, hat seine Probleme, an denen nur einer die Schuld trägt: Toto. Vielen Dank für das Leben ist ein Roman ohne jeglichen Hoffnungsschimmer. Wie Toto durch das Leben stolpert, ist nicht auszuhalten. Toto begegnet in seinem ganzen Leben, das Sibylle Berg bis in das Jahr 2030 erzählt, nur einem guten Menschen, einem kleinen Kind, das aber bald stirbt. Das kann ruhig erzählt werden, denn auf den 400 Seiten dieses Romans sterben die Menschen ununterbrochen, ist ja auch ganz normal, dass Menschen sterben. Natürlich sterben sie alle armselig und gebrochen, sie sterben als gerechte Strafe für ihr widerliches Leben. Nur Toto, der Freak, sticht aus diesem Arsenal an teuflischen Menschen, die vergewaltigen, töten und andere Menschen vernichten, heraus. Das ist manchmal sehr anstrengend zu lesen, viel zu oft hört man Sibylle Berg sprechen, wenn die Charaktere sich erklären. Für Leser, die die Menschheit hassen, ein perfektes Buch. Sacha Brohm
Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben. Hanser Verlag, München 2012, 400 S., 21,90
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