BEWEGUNG

Lieber zu Hause

Sibylle Berg verschiebt Menschen und erklärt, dass das blöd ist.

Heimat ist für Menschen, die in Bergdörfern aufgewachsen waren. Ganz reizend, man kennt alle, die Tiere, die Luft ist über jeden Zweifel erhaben, und statt ins Kino gehen alle Sonnenuntergang schauen." - nett, oder? Gedanken in knappem Format zu Papier bringen, darin ist Sibylle Berg wirklich gut: "Er hatte den Gedanken, die Welt verändern zu können, schon vor langer Zeit aufgegeben. Wobei aufgeben ein zu aktives Wort war. Die Idee war eher sanft entschlafen." Sehr nett.

In Die Fahrt hat Frau Berg viele kurze Kapitel über Menschen in aller Welt hintereinander gehängt. Frank in Berlin, Ruth in Tel Aviv, Peter auf Sri Lanka, Pia in Zürich. Sie werden von einer allwissenden und doch unerkannt bleibenden Erzählerin kurz ins Licht geschoben, erzählen uns ihre Gedanken, ein bisschen was von ihrem Leben, und reichen dann den Staffelstab der Erzählung weiter. Im Laufe der Geschichte entdeckt jemand seine Tochter, verliert Peter sein Hotel und Frank die Nerven, erlebt Pia, wie gemütlich Zürich sein kann (die Heimatstadt der Autorin), eine Pornodarstellerin geht in den Kibbuz, und Frank sitzt plötzlich in Reykjavik. Die Menschen wechseln die Orte, die Positionen. Manche werden das für einen Neuanfang nutzen, andere werden ihr Leben so weiterleben wie bisher. Die Fahrt schickt laufend neue Erzählfiguren ins Rennen, weshalb die Geschichte, so es eine gibt, nie in Fahrt kommt. Soweit eine Figur gerade ihr Vorstellungsgespräch beim Leser beendet hat und jetzt mit der Aktion beginnen könnte, stolpert eine neue durch die Drehtür: Guten Tag, ich bin Frederick und Taxifahrer in Hongkong.

Manchmal benutzt die Berg einen leeren Sitz im Flieger, um mit der Nebenfrau die nächste Geschichte zu beginnen. Andere Figuren gehen im Laufe des Buches einfach verloren. Und deshalb langweilt man sich schließlich. Denn das Buch will uns nichts von seinen Figuren erzählen, mehr von seiner anonymen Autorin. Denn die kann ganz tolle Sentenzen formulieren und kleine Sticheleien gegen die Welt loslassen. Denn was man in der Welt auch anstellt - es sieht meistens peinlich aus und riecht auch oft nicht gut. Das ist ein netter Gedanke. Es wird allerdings schwerlich ein Buch daraus, dem man mehr als 120 Seiten lang folgen möchte.

Von Frau Berg ist übrigens bekannt, dass sie am liebsten zu Hause bleibt.

Thomas Friedrich
Sibylle Berg: Die Fahrt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 346 S., 19,90