MAGIE & POLITIK
Poesie des Widerstands Stefano Bennis Zauberbuch »Boal« Über den Erzähler Stefano Benni haben wir schon genug Lobendes gesagt. In dieses Lob müssen wir jetzt nur noch sein 1990 erschienenes Buch "Boal - Eine ruhige Nacht im Regime" einfügen (mehr oder minder auf Deutsch erschienen unter dem albernen Titel Baol - Die magischen Abenteuer einer fieberhaften Samstagnacht - der Titel klingt wie Berti Vogts auf Droge). Es ist die Geschichte eines Magiers, der in einer nicht näher genannten Zukunft sein Handwerk nicht mehr ausübt. Einerseits wegen einer verlorenen Liebe, andererseits wegen der Zeiten. Das Fernsehen hat die Kontrolle übernommen, George Orwells "Ministerium für Wahrheit" aus 1984 ist bei Benni ein TV-Archiv, in dem laufend Aufnahmen gefälscht werden, um die Massen blöd zu halten. Und war es bei Orwell noch schwer zu erkennen, ob überhaupt einKrieg gegen Ozeanien oder wen auch immer gerade stattfindet, ist das bei Benni keine Frage: die täglichen Greuelbilder aus dem Krieg gegen die unmenschlichen "Shama" sind allesamt und täglich neu gefälscht. (Nebenbei: Dass Benni Orwells 1984 genial weiterschrieb, kann man daran erkennen, wie aus dem beängstigenden "Big Brother" inzwischen eine Containershow für Dauerdebile geworden ist und aus dem Spruch "Der Große Bruder sieht alles!" die RTL-Version "Du bist nicht allein!". Wer annimt, derartige Infantilisierung habe nichts mit Herrschaftsverhältnissen zu tun, guckt zu viel fern.) Einst war Bennis Zauberer berühmt: "Ich ließ eine große fette Gans verschwinden. Ich setzte sie unter ein dunkles Tuch und sie verschwand. Niemand verstand, wie ich es machte. Ich sage Ihnen die Wahrheit: Ich auch nicht. Es war die Gans, die verschwand." Aber schließlich verlor der Magier die Lust an seinem Publikum: "Die echten Gauner von früher gibt es nicht mehr. Die von heute sind gefährliche Staatsdiener. Du siehst sie Kokain nehmen, und am nächsten Tag sprechen sie sich im Fernsehen gegen Drogen aus. ( ...) Zauberer sind keine Moralisten, aber sie wissen, wo der Schwindel steckt." Weil ein trauriger Aussteiger aber keine gute Geschichte abgibt, wird der Magier eines Tages zu einem alten Komiker gerufen. Der soll vom Regime geehrt werden. Zu diesem Zweck will man bei der Preisverleihung einen Film vorführen, in welchem der Komiker das Regime lobt. Tatsächlich hat er aber damals mächtig gelästert: "Sie sagen, der Parteibonze Enoch sei ein Mafioso. Er streitet das ab. Wenn ihr mich in Restaurants seht, die von Mafiosi besucht werden, sagt er, bin ich deswegen doch noch lange kein Mafioso. Oder wird etwa einer, der ein chinesisches Restaurant besucht, beschuldigt, ein Chinese zu sein?" (die - längere - Beschreibung des Bonzen Enoch weist ein paar wunderliche Parallelen zu Berlusconis Werdegang auf). Der Magier soll nun das echte TV-Band besorgen, dass im "Archiv Zero" liegt, dem geheimsten geheimen Ort des Regimes. Wie das gelingt, wie der Magier mit ein paar Freunden den Apparat austrickst, seine Liebe wiederfindet und am Ende doch der einsamste Mann der Welt ist, erzählt Benni spannend, vergnüglich und immer wieder böse. Seine Literatur hat etwas enorm anarchisches, sie feiert das Leben, verachtet die Herrschenden, ist von großem Witz (es gibt eine Szene, in der ein "Kompiuter" überlistet wird, wie sie es nirgendwo sonst zu lesen gibt, und sie ist gnadenlos komisch) und leiser Melancholie. Das große Archiv wird übrigens von einem wahren Höllenhund bewacht: "Ich war zu allem bereit, als wir den Untergrund, in dem das Archiv Zero behütet wurde, betraten. Aber ich stieß auf das Schlimmste, was mir hätte passieren können. Einen Schleimscheißer. Es gibt keine schrecklichere Waffe in der Hand eines Regimes ." Aber wenn man weiß, dass im Fernsehen gerade ein wichtiges Spiel übertragen wird, läßt sich sogar ein Schleimscheißer austricksten. Ganz ohne Magie. Victor Lachner
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Stefano Benni: Baol - Die magischen Abenteuer einer fieberhaften Samstagnacht Aus dem Italienischen von Jochen Koch. Wagenbach, Berlin 2000, 204 S., 19,80 DM |