ZAHLEN
Für Milchmädchen verboten Professor Barrow erklärt uns die Mathematik mit den Fingern Zahlen sind "in", befindet die Trendpresse, Pi boome, und das New New Age gehe überhaupt mal wieder vom Faszinosum der Berechenbarkeit aus. Dabei passieren Fehler. Der beispielhafteste vielleicht zum Jahresende: viele feiern das "neue Jahrtausend", weil der Kalender so schön rund "2000" zählt. Die Kalender-DIN-Norm ist aber anders, die Wirklichkeit erst recht - und schon sind wir bei John D. Barrows Ausgangspunkt. Was sind Zahlen, wieso passen sie so einleuchtend auf die Welt, und wieso manchmal gar nicht? Ist "Pi" im Himmel, ein Teil der reinen Theorie - oder echt am Boden, ein Teil jeder Umdrehung eines Rades? "Pi in the Sky" hieß Barrows Buch im Originaltitel - und ist auch sonst voller Professoren-Humor ("Pie in the Sky" ist in etwa daß sprichtwörtliche Luftschloß). So weit, so lehrreich, lesbar und unterhaltsam. Zum Beispiel erklärt Barrow den wesentlichen Begriff der "Unentscheidbarkeit" mit einem Beispiel aus der Juristerei: im englischen Recht wird ein Angeklagter entweder für schuldig oder unschuldig befunden - und kann folglich unter derselben Anklage nicht mehr vorgeladen werden. Im schottischen Recht kann man einen Fall als "unbeweisbar" schließen - und ihn später wieder aufnehmen. Genau an der Stelle wird Barrows "Himmel voller Zahlen" unübersichtlich. Von der Erfindung der Null - und nach spannenden Geschichten über das Zählen mit Zehenzwischenräumen und anderen Körperteilen - springt er gleich in die Grundlagenkrise der Mathematik Anfang unseres Jahrhunderts. Unentscheidbare Sätze tauchten selbst in der einfachen Arithmetik auf, eine korrigierte Mathematik garantiert ohne Widersprüche konnte Teile der Welt nicht mehr beschreiben, sogar innerhalb der prinzipiell entscheidbaren Wahrheiten bleiben einige unberechenbar ... und leider bleibt fast alles dem Laien, dem der Klappentext das Buch empfiehlt, schwerst verständlich. Barrow gibt zwar Bodenhaftung wo er kann, erzählt Dönekes von großen Geistern, macht Scherze in den Fußnoten - aber er hat einfach zu viele Facetten des Themas auf dem Zettel. Und eine 20 Seiten lange Bücherliste als "gute Grundlage" für weitere Beschäftigung mit dem Wesen der Mathematik im Anhang. Ob Barrows Buch dazu gehören müßte, hängt von den eigenen Voraussetzungen ab. Wer hier nicht Cantors Paradox erkennt, wird eh schon ab Seite 165 aufgehört haben - wer es spannend findet, daß man Primzahlen nicht berechnen kann, aber auch nicht beweisen kann, daß es nicht geht ... der findet hier einen Himmel voller neuer interessanter Fragen. WING
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John D. Barrow: Ein Himmel voller Zahlen Auf den Spuren mathematischer Wahrheit Rowohlt, Hamburg 1999 [19742] 490 S., 19.90 DM |