MYSTERY Der Teufel in London Julian Barnes und »Das Königshaus der Monster« Das zweite Album ist immer das schwerste. Ja, der Nachfolger seines Debüts Das Albtraumreich des Edward Moon fiel Jonathan Barnes besonders schwer. Er musste das Buch schneller schreiben als das erste, um das überraschende öffentliche Interesse auszunutzen. Er musste auf die verwegene Stilmischung aus Dr. Who, Lovecraft und den Illuminati noch einen Witz oben drauf setzen. Und er wollte unbedingt keine direkte Fortsetzung schreiben, weil er nach dem ersten Buch versprach, nie Näheres zum Vorleben von Edward Moon auszuplaudern. Also spielt das "Königshaus" größtenteils heute, 130 Jahre nach dem "Albtraumreich", in einem beinahe realen London, in dem das Riesenrad an der Themse Sitz des geheimsten aller Dienste ist, der Sohn der Königin Eheprobleme hat und der Teufel kurz davor steht, die Stadt zu übernehmen. Einige Nebenfiguren haben aus dem Vorgänger-Band überlebt, aber bevor sie auftauchen, hat sich dessen atmosphärischer Gaslight-Stil in eine dröge Kanzleisprache voller Auslassungen verwandelt. Da gibt es im Prolog eine blutige Frauenschlachtung, aber der Erzähler, ein langweiliger Aktenwälzer, scheut sich, in Einzelheiten zu schwelgen. Er notiert rückblickend akribisch die letzten Tage seines Lebens und versteckt Andeutungen auf fantastische Vorkommnisse auffällig unauffällig in Nebensätzen. Bis sich ein zweiter Erzähler einmischt, der den ersten als Lügenbold beschimpft und mit schillernder Wortwahl den Plot vorantreibt. Später werden die Hauptpassagen dramatischer und die Einschübe flacher, aber da sind wir schon mitten im Krieg. Der tobt im Schatten, seit Queen Viktoria London an den Teufel überschrieb. Jetzt soll er wirklich auf die Erde kommen und die Guten können das scheinbar nur mit Menschenopfern verhindern. Und mit der Aufopferung von Genreüblichkeiten. Immer wieder spielt Barnes auf kulturelle Standards an, bedient sie, unterläuft sie und ruiniert jedes postmoderne Amüsement durch Nichterfüllung der Augenzwinker-Gewohnheiten. Sein Held heißt etwa Harry Lamb und ist natürlich mit Harry Lime verwandt, nicht nur, weil beide sich in einem Riesenrad treffen. Mehr aber hat das nicht zu bedeuten. Sein Gegenspieler bei Hofe heisst Arthur und wird zum Junkie. Und wenn sich seine Fixer-Freunde in Unflätigkeiten ergehen, kann man an "Naked Lunch" denken, muss aber nicht. Das ist das eigentliche Vergnügen: Nichts stimmt. Das muss man mögen. Das könnte bloß Gefudel sein. Aber die fühlbar systematische Verletzung unausgesprochener Voraussetzungen riecht doch stark nach Blut und Schweiß und Stil. Wing
Jonathan Barnes: Das Königshaus der Monster. Aus dem Englischen von Biggy Winter. Piper, München 2009, 400 S., 19,95
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