DUNKLE WELT Vom Warten im Blut Eine düstere literarische Graphic Novel von »Hellboy«-Erfinder Mike Mignola Es ist Krieg in Europa, eine Art Erster Weltkrieg, mit viel Schlamm, Trommelfeuer und keinem Ausweg. Nur dass die Bösen hier "Hessen" heißen und etwas noch viel Böseres zwischen den Schützengräben herumflattert und an den Leichen schmatzt. Baltimore, oder, Der standhafte Zinnsoldat und der Vampir beginnt fast realistisch beinahe an der selben Stelle wie Tad Williams' Otherland, aber wo Williams' Held aus dem Grauen in ein Fantasy-SF-Multiversum mit Computern floh, kriegt der Held von Mignola und Golden Krach mit einem Vampir und versinkt in einer Horror-Welt der Vergangenheit. Lord Baltimore verliert ein Bein und große Teile seiner Seele, der Krieg geht immer weiter und die Pest bricht aus. Mitten im sterbenden Europa treffen sich Jahre später drei Weggefährten Baltimores in einem Gasthaus und erzählen sich Geschichten. Vom Krieg und vom Einbruch des Übernatürlichen, von ihren Erlebnissen mit Baltimore und davon, wie der Vampirjäger mit dem Holzbein beim Kampf mit der dunklen Seite selbst immer dunkler wird. Nun hat er sie für einen Endkampf einbestellt, kommt aber nicht. Die Geschichten der Wartenden machen den Hauptteil des Buches aus - und werden vermutlich zum größten Teil in der geplanten Verfilmung gar nicht vorkommen. Zu sehr spielen Mignola und Golden mit literarischen Vorbildern aus Schauermärchen und anderen Erzähltraditionen. Auch die zurückhaltende Ausstattung mit Illustrationen gibt dem Buch ein betont altmodisches Gepräge. Es wirkt ein bisschen, als wäre Bram Stokers Dracula in Dr. Caligari gefahren. Mignolas Weltkrieg hat mehr mit Horace Walpole oder Howard Lovecraft zu tun als mit den expliziten Rasereien des Action-Kinos. Die Schrecken platzen nicht einfach herein, sondern warten am Rande aller Erzählungen und werden so immer noch größer. Bis am Ende auf den Sieg ein neues Versprechen folgt: Es wird noch böser kommen. Mike Mignola wurde mit Hellboy berühmt, einer Comic-Figur, aus der ein Film wurde und die inzwischen in vielen Franchises als Teufel für die gute Seite kämpft. Christopher Golden schreibt fast alles, vor allen Romane zu den TV-Serien Buffy und Angel. Das Buch enthält im redaktionellen Teil ein Interview mit Golden, ein Porträt Mignolas, einen Text über Hans Christian Andersen sowie dessen Original-Märchen über den Zinnsoldaten, dessen Motive in Baltimore überall auftauchen. Mit dem schweren Hardcover kann man leicht Nörgler erschlagen, die Fantasy für zu leer halten und Comics für bildungsfern. Oder Kulturwissenschaftler dazu animieren, endlich mal zu erklären, woher die neue Lust am Noir kommt. WING
Mike Mignola / Christopher Golden: Baltimore, oder, Der Standhafte Zinnsoldat und der Vampir. Mit Illustrationen von Mike Mignola. Aus dem Amerikanischen und Dänischen von Christian Langhagen. Cross Cult by Amigo, Asperg 2008, 318 S., 24,90
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