ALLTAG
Weniger als Glück
Die sachlichen Geschichten der Gabriele Bärtels
Die Menschen, von denen die Übersetzerin und Autorin Bärtels erzählt, ruhen meistens ziemlich in sich selbst. Sie haben ein warmes Eckchen im Leben gefunden. Ob der weltreisende Straßenmusiker, die Hure und Mutter Petra, der knapp 60jährige Haschischdealer oder die Ehefrau des Umzugs-Unternehmers und Millionärs Zapf (die ihren Gatten durch die Kleinanzeige "Millionär gesucht" kennenlernte) - sie alle haben nicht das ganz große Los gezogen, aber sie haben es auch nicht gesucht. Sie haben sich im Leben eingerichtet, mit allen möglichen Limitierungen abgefunden, und blicken sogar manchmal etwas mitleidig auf den Rest der Welt, wo das Streben nach Glück nach wie vor zum guten Ton gehört.
Es ist nicht immer klar, was in Bärtels Geschichtenband Homme bizarre ausgedacht und was wirklich erlebt und reportiert wurde (erst ein Blick auf die Homepage der Autorin offenbart, dass die meisten der Geschichten als Zeitungsreportagen entstanden). Die Autorin sitzt meistens als Ich-Erzählerin ihrer Figur gegenüber und notiert sachlich, scheinbar unbeteiligt ihr Leben. Sie kann mit wenigen, einfachen Sätzen in eine Situation einführen: "Auf einer dieser Großstadtparties war es, in einer großzügigen Single-Wohnung im Szeneviertel, Buffet in der Küche, Trauben auf dem Tisch, Stimmengewirr, immer wieder die Türklingel, neue Gäste kämpfen sich zur Gastgeberin durch." - das sitzt. Und versagt sich wohltuend diesem dauerwitzigen Betroffenheitstonfall, mit dem hippe deutsche Autoren - von Stuckrad-Barre bis Hennig von Lange - ansonsten glänzen. Und obwohl diese Geschichten mit voyeuristischer Neugier ins Leben anderer Leute schauen, sind sie diskret. Die Autorin wertet nicht, rätselt nicht, deckt keine "verborgenen Motive" auf. Die meisten Geschichten sind gerade mal vier Seiten lang, manche brauchen nur eine Buchseite.
In "Old Traces" besucht die Autorin "einen Mann, der lebt im Ausland". Sie beschreibt ihn voller Wärme und Neugier, sie scheint ihn zu lieben. Sie schreibt über ihn, den krumrückigen, halb kahlen Kunstfreund: "Für den Mann ist die ganze Welt eine Ausstellung, er weiß nicht, dass er ihr schönstes Stück ist." Sie legt ihre Hand auf sein Herz - "Ich gebe mir Mühe, ihm Ruhe einzuflößen, und doch muß er Tabletten nehmen, damit er nicht ganz in sein Unglück fällt." Mehr erfahren wir nicht, der Rest des Textes ist pure Idylle, wenn auch mit traurigem Ende. In Gabriele Bärtels Geschichten steht eigentlich nur: Selbst wer sich mit weniger als Glück zufrieden gibt, muß dafür verdammt hart kämpfen.
Thomas Friedrich
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