SHORT STORIES
Dicke Mädchen
Julie Orringers Debut »How To Breath Under Water«
Es geht um Mädchen zwischen 12 und 16. Sie sind Außenseiterinnen, weil sie den falschen Glauben oder das falsche Gewicht haben, weil sie die falschen Klamotten tragen oder einfach nicht hübsch genug sind. Sie haben einen nervigen kleineren oder einen boshaften älteren Bruder (nie eine Schwester!). Sie beginnen, sich für andere Jungs zu interessieren, wodurch andere Mädchen zur ärgsten Feindin werden.
Diese Konstellationen durchbricht die amerikanische Autorin Julie Orringer in ihrer Story-Sammlung How To Breath Under Water immer wieder durch heftige Ereignisse: tödliche Krankheiten und Unfälle säumen den Weg ihrer Heldinnen. Das wirkt manchmal wie ein aufgesetzter Knalleffekt, ist aber meist organischer Bestandteil der Handlung, etwa in der besten Geschichte "Der Isabel-Fisch", wo die junge Erzählerin erleben muss, wie die Freundin ihres Bruders bei einem Unfall neben ihr stirbt.
Bizarr ist gleich die erste Geschichte "Pilgerväter": in einem lachhaft ernsten Sekten-Zentrum spielen Kinder tödliche Spiele; während die Erwachsenen drinnen durch Yoga, Meditation und Vegetarismus ihr Seelenheil suchen, leben die Kinder draussen in einer anderen, aggressiven Welt. Während die Mutter für den Sieg über ihren Krebs betet, stirbt ein kleines Mädchen.
Dieser tiefe Riss zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt zieht sich durch alle neun Geschichten. Die Kinder sehen ratlos ihre Eltern an, die nichts verstehen, obwohl sie meistens aus dem aufgeklärten Mittelstand kommen, und die Eltern denken, mit den Kindern sei alles in Ordnung. Aus dieser Diskrepanz ergeben sich keine Konflikte, nur sinnlose Wut und Einsamkeit.
Selten wurde der Hass, den man seiner 1,80 großen und nur 55 Kilo schweren Cousine entgegenbringen kann, so ungefiltert formuliert. Allerdings, und das mach Julie Orringer (geboren 1973) zu einer klugen und einfühlsamen Autorin: die schöne, schlanke Cousine ist keineswegs ein dummes Püppchen sondern smart und abgeklärt. Sie weiss, wie dumm sie sich stellen muss, um den Jungens zu gefallen. Orringers jungen Heldinnen, leicht übergewichtige Mauerblümchen, sind diese Möglichkeiten verstellt.
Victor Lachner
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