ASTRONOMIE
Sterne wie Staub
»Rendezvous mit Venus« handelt von der Pubertät der Vernunft
Glückliches Frankreich. Dort schreiben Sternwarten-Chefs historische Romane (bei uns werden sie bestenfalls seltsam), dort dürfen Romanfiguren hemmungslos aus den Bildungsgütern der Nation zitieren (bei uns, wenn's hoch kommt, aus dem Fernsehen), und die Leser scheinen zu verstehen, wenn jemand sagt "der Satz danach" (den er wissentlich verschweigt) sei eigentlich noch viel treffender.
Überhaupt wimmelt es in diesem Roman des Astrophysikers Jean-Pierre Luminet von wissenden Anspielungen auf französisches Allgemeingut aus dem 18. Jahrhundert. Luminet erfindet die Memoiren des alten Astronomen Lalande, der 1806 auf seine wilde Jugend zurückblickt, als er alle wichtigen Aufklärer traf (Diderot, D'Alembert, Cassini, Voltaire, Condorcet ...) , und vor allem das größte wissenschaftliche Experiment seiner Zeit managte.
1761 und 1769 (dann wieder im Juni 2004) zog die Venus an der Sonne vorbei, und Dutzende Astronomen reisten in alle Gegenden des Globus, oft mitten in Kriegsgebiete, um Beobachtungen aus möglichst vielen Blickwinkeln machen zu können. Lalande aber blieb in Paris, zum Teil der Liebe wegen, und damit Luminet den vielen gelehrten Frauen der Zeit ein Denkmal setzen konnte.
Newton war tot, der König war dekadent, Mathematiker mussten noch Priester werden, um freie Hand und Zeit fürs Rechnen zu kriegen, aber eine Salon-Kultur entstand, wo scharfe Zungen und schnelle Geister zwischen Flirt und Party die Moderne erfanden. Die geistige, nicht die soziale. Als die Bastille fiel, beobachtete Lalande die Sterne. Und taufte eine bei den astronomischen Reisen seiner Freunde entdeckte neue Blume auf den Namen seiner Geliebten.
Der Memoiren-Ton und vor allem das Namensgeklingel ermüden jene Leser, die hier nicht "ihre" Geistesheimat im Werden sehen. Für einen normalen historischen Roman erzählt Luminet/Lalande auch zuviel von Nebenfiguren, bleibt seinem Haupt-Agenten nicht treu. Aber seinem Haupt-Anliegen: Aufklärung, gegen den Vater, gegen den Lebensplan, gegen den König, auch gegen die Revolution. Und für die Liebe, zur Wissenschaft, zur Frau des Uhrmachermeisters, zu den Sternen. Das ist schön: einen Helden der Vernunft als schwankendes Rohr vorzuführen. Der es am Ende der fortschreitenden Vernunft aufgibt, eine neue Blume zu finden, der man den Namen der Geliebten geben kann. Weil die seine von Opportunisten an Napoleon verschenkt wurde.
WING
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