ÄRZTE
Pecuniae causae Ein Kassenarzt plaudert aus dem Nähkästchen Daß die materielle Existenz eines Arztes weniger von seinen medizinischen Fähigkeiten als seiner Raffgier abhängt, hat ein anonymer Urologe in dem Buch Patient: Nebensache festgehalten. "Aus dem Tagebuch eines Kassenarztes" erfahren wir etwa, warum so viele Röntgenbilder und CTs notwendig sind (bringt Geld, wußten wir schon), warum Ärzte sich so oft von Kollegen vertreten lassen (bringt mehr Geld, wußten wir noch nicht) und wie man Gemeinschaftspraxen betreibt und warum es neuerdings so viele davon gibt (bringt ganz viel Geld und 10% Aufschlag, wußten wir nicht). Anhand der Beschreibung seines Praxisalltages erklärt uns "Doktor Med" (seinen Namen will er "aus Patientenschutzgründen" nicht nennen; es gab schon klügere Ausreden), wie das System funktioniert, im Zusammenspiel von Politik, Verbandsfunktionären, Ärzten, Kassen und Patienten. Und wie Ärzte einen Weg finden, sich auch noch die 34. Immobilie (aus Steuergründen, natürlich) leisten zu können. Deshalb ist das Buch nicht nur für Leute nützlich, die unter Blasenentzündung, Potenzproblemen oder Prostatavergrößerungen leiden; was Urologen da leisten und wie gerne sie operieren und punktieren, ist sehr aufschlußreich. Patient: Nebensache erzählt uns, wie lebensgefährlich Ärzte in Ausbildung sind - "Doktor Med" stellt lakonisch fest, an seiner eigenen Ausbildung seinen wahrscheinlich zehn bis zwölf Patienten auf dem Operationstisch gestorben - und warum das System so funktioniert, wie es funktioniert. Sind gemeine Handwerkerrechnungen schon schwer zu kontrollieren, ist dies bei Arztrechnungen unmöglich; was der Arzt der Kasse als Leistung meldet, weiß der Patient nicht. Und seit Seehofer das Punktesystem eingeführt hat, kloppen sich die Ärzte um den zu verteilenden Etat, in dem sie daheim auf dem Abrechnungscomputer nachprüfen, welche Leistungsziffern bei ihnen noch nicht das vorgeschriebene Kontingent erreicht haben. Oder anders: "Doktor Med" weiß von einem jungen Kollegen zu berichten, der seine 150 Hochzeits-Gäste mündlich bat, zur Feier doch bitte die persönliche Chipkarte der Krankenkasse mitzubringen... Der Vorschlag von "Doktor Med": Jeder Arzt bekommt pro Quartal für jeden Patienten 120,- DM. Egal, was er dafür bietet. Dann werden die guten von den schlechten Ärzten leicht zu unterscheiden sein. Wenn dann noch jeder Patient einen Durchschlag der Arztrechung erhielte, wäre das deutsche Krankenversicherungssystem wahrscheinlich sowohl vernünftig als auch finanzierbar. Erich Sauer
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Doktor Med: Patient Nebensache. Aus dem Tagebuch eines Kassenarztes Hanser, München 1998, 200 S., 29,80 DM |