ARTHUR CONAN DOYLE

Justizirrtum

Ein wahrer Fall für den Vater von Sherlock Holmes

Dies ist kein Kriminalroman. Das sieht man gleich daran, dass Julian Barnes ihn unter seinem eigenen Namen schrieb statt sein Krimi-Pseudonym Dan Kavanagh zu benutzen. Arthur & George ist jedenfalls kein normaler Kriminalroman. Das merkt man spätestens in den ersten Kapiteln, die von der Kindheit des Autors Arthur und seines späteren Klienten George handeln, Jahrzehnte vor dem Fall.
Dies ist ein Zeit-Roman über England am Anfang des letzten Jahrhunderts, in dessen Zentrum allerdings ein wahrer Kriminalfall steht. Arthur Conan Doyle, längst als Augenarzt gescheitert und als Sherlock Holmes-Autor berühmt, stolpert über den seltsamen Fall des George Edalji. Der kurzsichtige Sohn eines Inders aus den Kolonien hatte lange unauffällig als kleiner Anwalt scheinbar voll integriert gearbeitet. Still litt er unter nur gelegentlichen rassistischen Übergriffen seiner Mitbürger, bis er in einem skandalösen Prozess wegen anonymer Schmähbriefe und Tierverstümmelungen zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.
Der Volkszorn gegen den undurchsichtigen Fremden hatte sich längst gelegt, als Doyle sich seiner annahm. Der berühmte Autor entfachte eine Medien-Kampagne, wies Polizei und Gericht Rassismus und Schlamperei nach und holte in einem Wiederaufnahmeverfahren das geduldige Opfer aus dem Gefängnis.
Um den Fall und die Beweise aber geht es Julian Barnes nur am Rande. Sorgfältig verschränkt er vielmehr zwei Biographien am Anfang der Moderne und klingelt elegant mit literarischen Motiven. Ein Kriminalschriftsteller ermittelt für einen Anwalt, ein Augenarzt rettet einen Kurzsichtigen, ein lauter Weltmann verteidigt einen leisen Gastarbeiter.
Barnes hält sich eng an die Fakten, zitiert echte Briefe seiner Personen und polstert mit vielen nahe an der Wahrheit erfundenen Details die allzu nahe liegende platte Anklage wegen Engstirnigkeit mit fein ironischen Passagen auf, etwa über Doyles Hang zum Spiritismus.
WING
Julian Barnes: Arthur & George. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Köln, Kiepenheuer & Witsch 2007, 528 S., 22,90