ENTWICKLUNG Versagen für alle Ein "Armutszeugnis" für die Entwicklungspolitik Asit Datta wurde in Indien geboren, studierte in Deutschland und lehrt heute interkulturelle Pädagogik. Zu der gehören auch starke Sätze wie etwa der Untertitel seines neuen Buches : "Warum heute mehr Menschen hungern als vor 20 Jahren". Und auf den ersten Blick überraschend einfache Antworten wie im ersten Kapitel: Zwar sank der Anteil der kritisch Armen an der Weltbevölkerung in den letzten Jahrzehnten von 37 auf knapp 15 Prozent, aber einen Erfolg kann man dass kaum nennen, stieg doch zugleich die Weltbevölkerung stark an. 1990 hungerten 800 Millionen Menschen, heute hungern eine Milliarde. Gut, dass Datta von der aufmerksamkeitsheischend umgedrehten Statistik nicht auf die schiefe Bahn gerät, alle Entwicklungsprobleme mit dem Kinderkriegen zu erklären. "Bevölkerungskontrolle" kommt erst in einem späteren Kapitel kurz vor und nicht gut weg. Nicht so gut, dass er am Anfang nicht etwas beleglos trotzdem behauptete, die Hauptverantwortung trügen die Entwicklungsländer. Etwas klarer wird das, wenn er darauf hinweist, dass die absolut meisten Menschen in China und Indien hungern. Oder dass die Hälfte aller afrikanischen Staaten nicht demokratisch funktionieren und dort wie überall schlechtes Regierungshandeln der Bevölkerung schadet. Dann gibt es ausführliche Kapitel über Energie, Wasser, Handel, Hunger, Statistik und Politik, und eine unüberschaubare Zahl von Daten und Zitaten aus entwicklungspolitischen Berichten. Hinter dem Verhau von Dokumenten und Diskussionen mit Kollegen stellt sich aber auch ein gut begründetes Gefühl dafür ein, dass Liberalisierung und Globalisierung nicht der Weg zum Überleben der Menschheit sein können. Jedenfalls nicht, solange Wachstum wichtiger ist als Teilhabe, Privateigentum wertvoller als Ressourcenschonung und die eigenen Interessen internationaler Organisationen schwerer wiegen als die Interessen der Weltgesellschaft. Wem der Sprung von "jeden Tag verhungert eine Kleinstadt" zu "wir brauchen Konzepte für Degrowth" zu weit ist, der kann ja bei den gut belegten Passagen pausieren, die nachweisen, dass Welthunger nicht am Nahrungsmittelmangel oder zu wenig Geld liegt, oder bei vielen Beispielen von weltweiten Versuchen, anders zu wirtschaften, mit etwas mehr Nutzen für alle. Wing
Asirt Datta: Armutszeugnis. Warum heute mehr Menschen hungern als vor 20 Jahren. DTV, München 2013, 220 S., 14,90
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