IDEOLOGIEGESCHICHTE Gespensterjäger Eine kleine Geschichte des Antikommunismus in Theorie, Geschichte und Ironie Manchmal spricht für ein Buch schon seine Handlichkeit. So dachte wohl Wolfgang Wippermann, Geschichtsprofessor, als er seine Ideologiegeschichte des Antikommunismus schrieb. Das angeblich tote Thema der üblen Nachrede wider einen geschlagenen Feind lockt Leser erstmal mehr mit der knappen Seitenzahl als mit Brisanz. Dazu kommt dann noch der nette, direkt von den Gründervätern übernommene Titel Heilige Hetzjagd. Schon Marx und Engels erkannten, dass die Opposition gegen den gerade erst erfundenen Kommunismus weniger über Argumente als Beschwörungen verfügte. Wolfgang Wippermann verfolgt ebenso umfassend wie knapp, ebenso überzeugend wie unterhaltsam die Hetzjagd durch die Geschichte und rund um die Welt. Schon beim ersten Kommunistenprozess der Welt, 1852 in Berlin, beschwor der Ankläger Wilhelm Stieber eine "Verschwörung" finsterer Mächte, konnte sie aber nie gerichtlich nachweisen. Umgekehrt ist aber beweisbar, dass er selbst revolutionären Dreck am Stecken hatte und 1848 wegen "bürgerlicher Umtriebe" vor seinen König zitiert wurde. Wohl zur Wiedergutmachung schlich er sich als Spion bei Karl Marx in London ein, stellte sich dämlich an und erfand Gräuelmärchen, fälschte Dokumente und brachte es, trotz verlorenem Prozesses und späterer Entfernung aus dem Polizeidienst wegen illegaler Methoden, unter Bismarck zum Geheimdienstchef. Das Muster setzt sich fort: Ein christlicher Agitator gegen die SPD stellte fest, die Fehler des Kapitalismus kämen nicht vom System oder gar der Kirche, sondern von den "Finanz-Juden". Da nun einige Juden auch Kommunisten waren, konnte man jeden Antisemiten im Handstreich als Antikommunisten vereinnahmen und in jedem Juden eine Bedrohung sehen. Hier setzt die Geschichte der sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion" ein, die Anfang 1900 vom zaristischen Geheimdienst erfunden wurden. Die darin propagierte Weltverschwörung nutzte Ressentiments gegen Aufklärer und Freimaurer, Juden und Sozialreformer, und erklärte schlicht jeden der am bestehenden System herummäkelte zur terrorismusverdächtigen Marionette. An dieser Stelle schließt sich sehr sinnvoll die Lektüre von Umberto Ecos kompliziert ironischem Roman Ein Friedhof in Prag an. Der handelt nämlich von einem erfundenen Meisterfälscher, einer widerlichen Person, in der sich alle Vorurteile überkreuzen, die man Ende des vorletzten Jahrhunderts nur haben konnte: Juden schlachten Kinder, Deutsche erkennt man am voluminösen Kot und derlei dick aufgetragenen Unfug mehr. Weil der Fälscher in Paris auch dem jungen Freud begegnet, hat er in Rückblenden eine Jugendepisode, in der ein jüdisches Mädchen ihn sexuell zurückweist, und flugs ist die Beleidigung als Motiv für spätere Figmente eingeführt. Das erschien im Buch, das uns einen möglichen romanhaften Weg zur Erfindung der "Protokolle" erzählt, noch etwas arg konstruiert. Parallel zu Wippermann gelesen, nimmt Ecos Erz-Bösewicht Simonini aber abwechselnd die Züge der Menschen oder Themen an, die Wippermann in seinen Kapiteln über Deutschland, USA, Europa und die Dritte Welt als die Drahtzieher oder Hebel des Antikommunismus vorstellt. Leider ohne Simoninis Garibaldi-Italien. Immerhin korrigiert Wippermann das drohende zu kurze Missverständnis, McCarthy etwa hätte keine Kommunisten gefressen, wenn er nur als Kind mehr geliebt worden wäre. Tatsächlich hat McCarthy die amerikanische Kommunistenverfolgung gar nicht erfunden, die zum Beispiel ohne das aus ganz anderen Gründen viel früher aufgebauschte National-Trauma "Alamo" gar nicht möglich gewesen wäre. Andersherum kritisiert er Linke und Liberale, einschließlich der iranischen Kommunisten, die dem Ayatollah Khomeini seinen Antikommunismus nachsahen, solange er nur gegen den Schah war. Kaum an der Macht, verbot er seine Unterstützer. Die Haltung zum Kommunismus, was auch immer er darunter verstand, ist endgültig vom philosophischen Inhalt bloß zum politischen Mittel verkommen. Dagegen besteht Wippermann darauf, Kommunismus sei ein Ideal, über das man weiter reden könne. Ob man es anstrebt oder nicht, ist eine Frage der Moral und der Gesinnung. Antikommunismus aber sei eine Ideologie, meist aus objektiv falschen Beweggründen, oft diskreditiert durch ihren Hang zum Antisemitismus, die sich gegen jede Vernunft, Überprüfung und Diskussion stemmt. Stimmt. Einem richtigen Ideologen ist die Abwesenheit von Beweisen nur ein Indiz für die Perfidie des Feindes. Wing
Wolfgang Wippermann: Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus. Rotbuch, Berlin 2012, 160 S., 9,95 / Umberto Eco: Ein Friedhof in Prag. Aus dem Italienischen von Burkhard Kroeber. Hanser, München 2011, 528 S., 26,00 - Hörbuch Hörverlag, München 2011: 13 CD, 29,99 - mp3-Version 18,99; Download 20,95; Kindle 19,99
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