REPORTAGE

Dritte Welten

Andrian Kreyes »Berichte aus der Kampfzone«

Auf dem Umschlag steht der Untertitel "Die globalsierte Welt und ihre Rebellen" - in der Einleitung, erst hinter der ersten Reportage über das Ende der Revolution in Nicaruga, steht das Bekenntnis des Autors: er habe es aufgegeben, die "neuen Feinde des Westens" zu porträtieren oder Demarkationslinien zwischen Menschenrechtsbewegung und Globalisierungsideologie zu beschreiben. Er wolle nach vielen Jahren als Reporter in aller Welt jetzt nur die Realität zeigen, die Angst in vielen Teilen Teilen der Welt, die Wut, die Gier.
Danach teilt Kreye dann auch sein Buch ein. Und erzählt etwa gleich im ersten Text des "Angst"-Kapitels mit genauen Namens und Ortsangaben, wie der alte Voodoo-Mythos des Penischrumpfers im Senegal unter dem neuen, rigiden "Stabilitätskurs" der Weltbank wieder auflebt. Das Volk leidet machtlos unter den ungreifbaren Kräften der Weltwirtschaft und wehrt sich, in einer Art sozialpathologischer Übersprungshandlung, an reisenden Budenzauberern ab, die davon leben, gegen kleines Honorar Männer machtlos zu machen. Und dafür von Mob gesteinigt werden, der tags drauf wieder in unklare Bürgerkriegsparteien zerfällt.
Oder im "Gier"-Kapitel: da sitzt Kreye auf Antigua bei den Chefs der Wettbüros am Schreibtisch, und wieder stellt er einzelne Menschen in ihrer Persönlichkeit vor, die sich irgendwie in der explodierenden Welt und den vielen Nischen zwischen den Partei-Interessen einrichten.
Wie die Hip-Hop-Jugendlichen in Amerikas Indianer-Reservaten, die lieber sich gegenseitig über den Haufen schießen als die Unterdrücker; wie die kubanische Rocker, die sich bewußt mit Aids infizieren, weil "der Tod die einzige Freiheit ist, die sie uns gelassen haben" ... in 19 Geschichten, die auf Reportagen in der Süddeutschen Zeitung, FAZ, Tempo, Stern, Playboy und ZDF basieren, zerstört Kreye klare Weltanschaungs-Fronten und versucht, Individuen zu retten. Erst im Schlusskapitel über die 99er Welthandelskonferenz in Seattle wird er etwas theoretisch - und zu den Einzelschicksalen treten globale, für alle Ideologen unangehme statistische Fakten: der dritten Welt geht es besser denn je, aber dem westlichen Mittelstand geht es jedes Jahr schlechter - wenn auch auf ungleich höherem Niveau. Das habe "die Linke" nur noch nicht begriffen.
Kreye hält es mit George H. Bushs "neuer Weltordnung", die der Alt-Präsident im Golfkrieg verkündete: Gesetze sollten regieren, nicht das Faustrecht. Und hält den neuen Präsidenten George W. Bush dagegen, der im Namen der freien Welt auf das Recht seiner Faust setzt.
Die "Freien" lügen, die "Armen" irren sich immer wieder in ihren Feinden, und der Kampf für eine "gerechte Freiheit" werde hoffentlich ewig weitergehen. Weil nur eine Gegenbewegung "von unten" verhindern kann, dass die Herren der Welt sich alles unter den Nagel reißen.
WING
Andrian Kreye: Berichte aus der Kampfzone. Die globalisierte Welt und ihre Rebellen Droemer, München 2002, 286 S., 19.90 EU ISBN: 3426272903