SELBSTBETRACHTUNG
Beisshilfe
Martin Amis schreibt über sich selbst
In den 90ern musste der einstmals wilde Mann der englischen Literatur eine ziemlich unsägliche Debatte über sich ergehen lassen: Teile der Presse inszenierten eine beträchtlich Aufregung um die Tatsache herum, dass Amis sich für teures Geld die Zähne richten ließ. Das Geld verdankte er den Vorschusszahlungen für seinen Roman Information (der in diesem Buch nicht mal im Klappentext erwähnt wird, weil er in einem anderen Verlag erschien).
Vor allem als Antwort auf diese Kampagne veröffentlichte Amis im Jahr 2000 das Buch Expirience, das jetzt mit 5jähriger Verspätung als Die Hauptsachen bei Hanser erschienen ist. Der deutsche Titel ist wieder einmal unglücklich gewählt, Amis erklärt gleich zu Anfang, dass "Erfahrung" der neue Deutungshintergrund für jede Art von Literatur ist, was ein bisschen kess ist, denn so erklärt er die bisweilen arg öde Selbsterinnerung gleich zur Literatur: Wer sich erinnert, schafft Kunst.
Es geht vor allem um Väter und Söhne. Amis' Vater war selbst ein sehr bekannter Autor, dazu ein Weiberheld, Säufer, Angeber und Reaktionär. Was ihm dieser Vater war (und ob er selbst seinen Söhnen ein besserer Vater ist), beschäftigt den Autor Amis über Gebühr. Detailreich werden der Loslösungsprozess beschrieben, das Scheitern der eigenen Ehe - und die Zahn-Leiden. Ein Großteil des Buches geht dafür drauf, Einblick in Amis' Mundhöhle zu erhalten. Seine Vollprothese, beteuert Amis, sei kein Akt der Eitelkeit gewesen sondern notwendige Korrektur lebenslang schlechter Zähne. Dazu gibt's Merksätzchen aus dem Nähkästchen, etwa: ob einer bekloppt ist oder nicht, merkt man daran, ob er Sinn für Humor hat.
Das alles ist, vor allem weil Amis sich wieder einmal nur im ersten Buchdrittel um Gestaltung bemüht, mäßig interessant. Bei allem Witz, den Amis zweifellos besitzt, hat man doch durchgehend das Gefühl, dass sich hier einer zu wichtig nimmt. Das muss übrigens auch der Lektor der deutschen Ausgabe gedacht haben, der ein paar satte Fehler übersah.
Alex Coutts
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