SF & SEX

Die heiße Desdemona

»Schweres Wasser« - böse und traurige Geschichten von Martin Amis

Am 30. September 2048 erhält die Menschheit eine Nachricht aus dem Weltraum. Sie beginnt mit den Worten: "Entschuldigung, dass ich hier einfach so hereinplatze. Ich habe eine Nachricht für Sie. Ich bin der Hausmeister auf dem Mars." Da ist die Aufregung natürlich groß. Sie wird allerdings noch größer werden. Als eine ausgewählte Personengruppe - Wissenschaftler, Nobelpreisträger und die amtierende "Mrs. World" - auf dem Mars eintrift, hat der dort seit Millionen Jahren tätige Hausmeister wirklich schlechte Nachrichten für die Menschheit, von der er nicht viel hält: "Am auffälligsten war gewiß das Versagen eurer Wissenschaft. Eure Einsteins und Bohrs, eure Hawkings und Kawabatas - die hätten auf dem Mars auf ihren lausigen Knien gelegen und die Böden der Labors saubergeleckt." Die Geschichte hat eine üble Pointe, und nicht nur sie macht "Der Hausmeister auf dem Mars" zu einer der besten SF-Geschichten, einer Synthese aus Stanislaw Lem und Robert Sheckley.
Dabei ist Martin Amis gar kein SF-Autor. Er ist, inzwischen über 50, immer noch ein ungezogener Junge, der böseste (und vielleicht begabteste) Autor unter den nicht mehr ganz jungen Briten, die in den 80er Jahren auffielen: Nick Hornsby, Hanif Kureishy - Martin Amis ist der frechste. Und handwerklich souveränste.
Schweres Wasser und andere Erzählungen gibt einen guten Überblick über die Weite der Boshaftigkeit, über die Amis verfügt. Anfang der 80er etwa schrieb er die Erzählung "Laß zählen mich die Liebe" über den Buchhalter Mr. Vernon, der genau notiert, wie oft und auf welche Art er durchschnittlich seine Frau begattet - oral, anal, und einmal hat er ihr sogar ins Gesicht ejakuliert, wofür er sich heftig schämt. Obwohl sexuell ausgelastet, treibt die trostlose Zählerei Mr. Vernon in unsägliche Masturbationsphantasien. Zunächst hält er sich an reale Szenen - dann entdeckt er die Weltliteratur. Von jetzt an fickt er - im Geiste - die Helden der Bücher. Zum Beispiel Shakespeare: "An einem einzigen verachtungsvollen Morgen zog er alle vier tragischen Heldinnen durch: die kalte Cordelia (hier fror einem tatsächlich das meiste weg), die bittersüße Ophelia (auch ziemlich wenig zu holen, obwohl ihm ihr zweideutiges Gerede gut gefiel), die schlangenäugige Lady M. (hier mußte Vernon gut auf sich aufpassen) und, am allerbesten, die dämonisch heiße Desdemona (der ihr Othello wußte schon Bescheid! Die stank nach Sex)."
Im Gespräch mit Sky Nonhoff hat Amis gesagt: "Kunst und Onanie sind nahe Verwandte. Im Grunde sind wir Autoren Wichser. Man besorgt es sich allein, hat die totale Kontrolle." Die nutzt er aus. Die Geschichte "Schweres Wasser" etwa ist eine überaus herzzerreißende über einen behinderten jungen Mann, der mit seiner Mutter eine Kreuzfahrt unternimmt; einsamer als er kann man nicht sein.
Neun Geschichten enthält der Band. Wer Amis kennenlernen möchte, kann keinen besseren Einstieg wählen. Und sich anschließend seinen Romane widmen. Die sind nämlich noch besser als seine Geschichten.
Alex Coutts
Martin Amis: Schweres Wasser Aus dem Englischen von Joachim Kalka. S. Fischer, Frankfurt 2000, 282 S., 39,80 DM