FOLTER

Standard Operating Procedure

Das Buch zum Film sucht Erklärungen für das Desaster von Abu Ghraib

Das Gefängnis Abu Ghraib war schon unter Saddam Hussein eine Folterhölle für Tausende gewesen. Als die US-Truppen den alten, strategisch ungünstig gelegenen Beton-Klotz als Gefängnis übernahmen und neu herrichteten, hatten einige der Verantwortlichen von Anfang an ein mulmiges Gefühl.

Abu Ghraib, der Knast, aus dem jene Folterbilder stammen, die fortan zum Kulturgedächtnis der Menschheit gehören wie manche Bilder aus dem II. Weltkrig oder aus Vietnam, war nicht nur der Höhepunkt amerikanischer Bigotterie, es war und ist ein gutes Beispiel dafür, wie Schreibtischtäter und dumme Prolls sich aufs Beste ergänzen; und wie am Ende immer die kleinen dummen Prolls vor Gericht stehen und im Gefängnis verschwinden.

Philip Gourevitch hat, nach dem Film Standard Operating Procedure von Errol Morris, die Geschichte dieser Fehlentwicklung in Die Geschichte von Abu Ghraib aufgeschrieben. Seine Geschichte beginnt mit der baulichen Einrichtung des Großknasts, den wöchentlich wechselnden Bulletins des Justiz- und Verteidigungsministeriums, die den Soldaten erklären, was Folter und was erlaubt ist, und er landet schließlich bei dem organisatorischen Chaos, das dazu führte, dass niemand mehr wusste, wer eigentlich was angeordnet hatte.

Im sogenannten harten Kern des Knast verhörten der Militärische Geheimdienst und eine Menge Zivilfahnder offensichtlich politische Gefangene. Diese Gefangenen waren unter falschen Namen und Kennziffern registriert und wurden notfalls versteckt, wenn das Rote Kreuz mal zu Besuch kam. Die MP, die das Gefängnis nominell führten, hatten eigentlich nur "Bringdienste" zu verrichten: Den Gefangenen aus der Zelle holen, zum Verhör abliefern, später wieder abholen. Das ganze peinliche Zeug, dass von Abu Ghraib nach draußen drang, die sexuellen Demütigungen, Erniedrigungen, Schläge, stammen nicht aus den Verhörzimmern der Geheimdienste sondern aus den Gefängniszellen und -fluren der MP, die den Auftrag hatten, die Gefangenen für die Verhöre "vorzubereiten": Anschreien, anketten, ausziehen, Frauenwäsche über den Kopf ziehen - es war eine Kette ungeregelter Demütigungen, die es dem einfachen Soldaten überließ, was er unter "Standard Operating Procedure" zu verstehen hatte.

Dumm nur, dass die Folterknechte ohne Aufsicht so viel Spaß an ihrer Arbeit hatten, dass sie die schönsten Momente fotografierten. Genau dafür sind sie dann in den Knast gewandert: Sachbeschädigung, Strafvereitelung, sexuelle Belästigung. Niemand wurde wegen Folter angeklagt oder gar verurteilt.

Gourevitch benutzt ausschließlich jenes Material, dass Errol Morris für seinen Film Standard Operation Procedure zusammengetragen hat. Aber nicht nur, dass er das Material ausführlicher zitiert und einsetzt, er stellt auch einen Zeitablauf her, der in Morris' Film zu kurz kam. Während der Film die entsetzlichen Bilder ausführlich einsetzt und dagegen das selbstgerechte Grinsen der verurteilten Soldaten setzt, die bereitwillig darüber Auskunft geben, was sie und warum sie es getan haben (alles Opfer der Umständeà), beschreibt Gourevitch Zusammenhänge. Das Gefängnis, mitten im Kampfgebiet gelegen, hat ebenso eine Geschichte wie der Chef-Sadist Graner, der nach Army-eigenen Maßstäben niemals als Blockleiter im Knast hätte eingesetzt werden dürfen.

Der Film hinterließ den nachhaltigen Eindruck, dass in Abu Ghraib, stellvertretend für das gesamte Irak-Desaster, irgendetwas fürchterlich schief gegangen ist. Das Buch, das bewusst keine Bilder enthält, versucht zu erklären, was. Während im Film die seltsame Abwesenheit höherer Offiziere auffällt, benennt Gourevitch Autoren und Bürokraten, die das Gemetzel an Menschen im Gewahrsam der US-Armee ermöglichten.

Wenn man bedenkt, wie geschickt die gar nicht dafür eingerichtete Army die Vorkommnisse von Abu Ghraib an sich hat abtropfen lassen, weiß man eigentlich schon, wie sinnlos es sein wird, die US-Geheimdienste belangen zu wollen für das, was sie seit 2001 im Auftrag der Regierung getan haben.

Erich Sauer
Philip Gourevitch, Errol Morris: Die Geschichte von Abu Ghraib Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl. Hanser, München 2009, 301 S., 19,90 / Der Film von Errol Morris "Standard Operating Procedure" ist seit Januar als DVD zu haben.