WISSENSCHAFT

Mütter an die Macht

Die Alma Mater der Kulturgeschichte

Vor 30 Jahren erfand die gelernte Literaturwissenschaftlerin Göttner-Abendroth die Frauenforschung. Jedenfalls für Westdeutschland wurde ihre Weltanschauung aus dem Bauch heraus die Kampftheorie gegen männlich besetzte Professorenstellen und Lehrgebiete. Seit 12 Jahren betreibt sie ihre eigene "HAGIA - Akademie für kritische Matriarchatsforschung" - und heute ist sie ihren patriarchalischen Profi-Kollegen in Archäologie, Ethnologie und Kulturwissenschaft fast näher als dem institutionalisierten Quoten-Feminismus oder der kruden Schoß-gut-Schwanz- böse-Mamma-Militanz.
Fast, denn Göttner-Abendroth besteht auch weiter ganz "unwissenschaftlich" auf der Gleichzeitigkeit von Mythos und Methode, von Fakten zählen und Fiktionen erzählen. Das macht ihren Essayband Für Brigida - Göttin der Inspiration auch für Leute interessant, die sich weder in den letzten Catal Hüyük-Ausgrabungen auskennen - noch Power-Frauen für die 5. Kolonne von Mutter Erde halten. Göttner-Abendroth erzählt längst trivialisierte Dönekes aus der guten alten Zeit vor dem Patriarchat (Frauengesellschaften führen keine Eroberungskriege) - nennt aber auch überraschende Nebenfolgen (Matriarchen bauen Tempel und Rathaus immer zusammen). Und sie verwandelt ihre historischen Einsichten (nun ja, in diesem Band bleiben es weitgehend Behauptungen ohne Beleg) in eine umfassende Philosophie, nach der politisches Handeln und theoretisches Denken denselben Prinzipien folgen sollen wie die - der raffsüchtigen Männer wegen - untergegangenen Mutter-Kulturen. "Weichen" Prinzipien, weiblichen, Scheide und Pflugschar verpflichteten, nicht Schwert und Mehrwertsteuer.
Das ist natürlich schon mal wissenschaftstheoretisch schwer bedenklich (wieso soll die Erklärung eines Phänomens genauso funktionieren wie die Sache selbst?) - und der tiefromantische "Zurück zur Natur"-Ton der ganzen Richtung ist auch gefährlich unmodern. Würden Matriarchen das Staatsbürgerschaftsrecht von der Blutlinie abkoppeln? Ist die Trennung von Kirche und Staat eine Perfidie kulturschänderischer Kerle?
Immerhin kann man Göttner- Abendroth sowas fragen. Für die Mutter einer ganzen Disziplin (seit 10 Jahren schreibt sie an deren Bibel Das Matriachat, Band 2.2 ist in den Wehen) ist sie erstaunlich undogmatisch. Und zuweilen sogar witzig. Als Einleitung zu ihrem Essayband hat sie ein brunzdummes Interview mit einer Räucherstäbchen-Frau erfunden, das viele gegenseitige Vorurteile sozusagen vorab durch Auto-Ironie erledigt. Und die wissenschaftliche Diskussion mit männlichen Kollegen am Ende bricht ab, weil das Mitschnitt-Tonband leider voll war. Frauen und Technik? Oder doch eher Oma (H. G.-A. ist Jahrgang 41) weiß, was Opa schmunzeln läßt?
WING
Heide Göttner-Abendroth: Für Brigida. Göttin der Inspiration Neun patriarchatskritische Essay und Thesen zum Matriarchat. Frankfurt: Zweitausendeins 1998, 250 S., 25,- DM